Der Autor vermittelt als Zeitzeuge, damals als Oberassistent, einen Einblick in die Gründung und die Entwicklung des Instituts über die vergangenen fünf Jahrzehnte.
Der Start
«Das Gebiet der Lebensmittelwissenschaften, seit jeher in einzelnen Schwerpunkten an der ETH Zürich in Forschung und Lehre vertreten, hat 1971 durch den Ausbildungsgang für Lebensmittel-Ingenieure eine neue Basis erhalten. Übungen, Praktika und Diplomarbeiten werden zur Hauptsache am Milchtechnischen und am Agrikulturchemischen Institut (1933 resp. 1940 errichtet) sowie an den Professuren für Lebensmittelverfahrenstechnik (1965) und für Lebensmittelmikrobiologie (1973) ausgeführt. Es ist deshalb verständlich, wenn die an diesen Instituten und Professuren tätigen Dozenten nicht nur ihre Unterrichts-, sondern auch ihre Forschungstätigkeit koordinieren, die langfristige Personalplanung gemeinsam in Angriff nehmen und sich bei Anschaffungen von kostspieligen Apparaten und Einrichtungen gegenseitig absprechen möchten und wenn sie mittelfristig das Ziel verfolgen, aus ihrer bisherigen (grossen) räumlichen Dezentralisation zu einem gemeinsamen Standort zu gelangen [1].»
Das ist die Einleitung des Protokolls der Sitzung des Schweizerischen Schulrats (heute ETH-Rat) vom 29. März 1974. Sie stellt in klarer Form die Ausgangslage dar, die zum Beschluss führte, auf den 1. April 1974 ein Institut für Lebensmittelwissenschaft mit den damaligen Professoren Roman Bach, Johann Neukom und Jürg Solms (Agrikultur- und Lebensmittelchemie), Marc Bachmann und Zdenko Puhan (Milchwissenschaft), Wilhelm Schmidt-Lorenz (Lebensmittelmikrobiologie) und Franz Emch (Lebensmittelverfahrenstechnik) zu gründen.
Mit dieser Institutsgründung ist nach der Einführung des Studiums für Lebensmittel-Ingenieure – die weibliche Form des Berufs kam damals noch nicht zur Sprache – die zweite von drei Forderungen der beteiligten Professoren zur Konsolidierung des Lebensmittelbereichs in Lehre und Forschung an der ETH erfüllt worden. Der Bezug eines gemeinsamen Institutsgebäudes als dritte Forderung brauchte Geduld, denn erst 1981 konnten alle Professuren im LFO-Gebäude im ETH-Zentrum vereint werden. Das LFO-Gebäude, ursprünglich 1956 als land- und forstwirtschaftlicher Ost-Bau erstellt, wurde dabei nicht umbenannt.
Sehr bald wurden die Abkürzungen ILW für das Institut und LFO für das Gebäude auch ausserhalb der ETH Markenzeichen nicht nur für die disziplinären, sprich chemischen, mikrobiologischen und verfahrenstechnischen usw. Aktivitäten, sondern ebenso für einen interdisziplinären oder systemorientierten Ansatz von Lehre und Forschung im Lebensmittelbereich. In einem kürzlichen Gespräch meinte Jürg Solms, Mitgründer des ILW und heute mit 99 Jahren hochbetagt in Winterthur lebend, dem ILW sei es meistens gelungen, nach aussen gegenüber der ETH-Schulleitung, der Lebensmittelindustrie oder den Bundesämtern in Bern – eine Sprache zu sprechen und gleichzeitig im Institut mit der grossen, wünschbaren Verschiedenheit der Professoren kollegial umzugehen. In der damaligen fachlichen Zusammensetzung des Instituts wurde auch akzeptiert, dass die Milchwissenschaft eine spezifisch produktorientierte Domaine mit entsprechender Namensgebung von zwei Professuren darstellte, während man bei den übrigen Professuren bewusst von einer namentlich genannten «Commodity»-Orientierung absah, wie sie damals an verschiedenen ausländischen Universitäten gepflegt wurde.
Die Institutsgründung hatte auch internationale Resonanz. So berichtete die Zeitschrift «Food Technology» des amerikanischen Institute of Food Technologists, einer der damals grössten Vereinigung von Lebensmittelfachleuten auf der technischen und wissenschaftlichen Ebene, über die Schaffung eines «Institute of Food Science» an der ETH [2]. Vier der Gründer-Professoren engagierten sich im Editorial Board der einige Jahre zuvor von einem kleinen Zürcher Verlagshaus gegründeten Zeitschrift «lwt – Food Science and Technology» – heute immer noch erfolgreich von der Elsevier Gruppe herausgegeben – und vermittelten damit dem ILW neben den traditionellen disziplinären Fachzeitschriften von Anbeginn an eine systemorientierte internationale wissenschaftliche Plattform.
Humanernährung – Ernährungswissenschaft
Schon der erste Schweizerische Ernährungsbericht von 1975 und ausführlicher dann der zweite Bericht von 1984 hielten fest, dass es in der Schweiz an einer gezielten Förderung der Ausbildung und Forschung in Ernährungswissenschaft mangle. Auch in Konsumentenkreisen wurden Stimmen laut, dass Ernährungsfragen in der Lebensmittelindustrie, in Forschungsinstitutionen, aber auch in Schulen aller Stufen zu wenig Beachtung geschenkt würden. Die ETH reagierte auf dieses Defizit damit, dass sie 1989 das ehemalige Migros-Institut für Ernährungsforschung in Rüschlikon als Erweiterung der ILW-Infrastruktur mietete und 1990 ein Nachdiplomstudium für Humanernährung einführte. Federführend war dabei der ILW-Professor Renato Amadò. Er gehört ebenfalls zu den Zeitzeugen der Gründung des ILW 1974, damals noch als Oberassistent.
Eine längerfristig wirkende Etablierung der Ernährungswissenschaft im ILW ergab sich, als 1991 eine der beiden milchwissenschaftlichen Professuren auslief und 1994 mit einer Professur für Humanernährung besetzt werden konnte. Damit erhielt das ILW ein wichtiges zusätzliches Standbein, das eigentlich schon zu jenem Zeitpunkt eine Namensänderung des Instituts gerechtfertigt hätte. Das sollte aber erst 2002 mit «Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften» Realität werden, an der Abkürzung wurde allerdings auch dann noch nichts geändert.
Lebensmittelbiotechnologie statt Milchwissenschaft
Mit der Emeritierung von Zdenko Puhan, ILW-Mitbegründer und heute ein weiterer Zeitzeuge des Institutsstarts, wurde 2001 die zweite Professur für Milchwissenschaft in die Professur für Lebensmittelbiotechnologie umgewandelt. In Forschung und Lehre ist sie breiter ausgestaltet, ohne dass aber die Beschäftigung mit Milch und Milchprodukten als wichtigen Grundnahrungsmitteln verloren gegangen ist. Drei Jahrzehnte früher wäre der Wegfall der Spezialrichtung Milch wohl zu einem Politikum geworden. Schon der Begriff Sojamilch wurde damals in der Presse kritisiert. Nach der Jahrtausendwende waren derartige Einwände kein Thema mehr.
IFNH – Institute of Food, Nutrition and Health
In der Abteilungs- und Departementsstruktur der ETH entwickelten sich die lebensmittelwissenschaftlichen Fächer von Anbeginn an eng verknüpft mit den Agrarwissenschaften. Mit der zunehmenden Bedeutung des ILW war es deshalb 1992 ein gut begründbarer Schritt, die historische Abteilung für Landwirtschaft in die Abteilung und später das Departement für Agrar- und Lebensmittelwissenschaften (D-AGRL) umzubenennen. Mit dem ILW und drei agrarwissenschaftlichen Instituten konnte das Departement auf diese Weise der «Filière agro-alimentaire» innerhalb der ETH das nötige Gewicht in Lehre und Forschung verleihen.
2010 entschied die ETH-Schulleitung, mit der Gründung des Department of Health Science and Technology (D-HEST), die Aktivitäten in Lehre und Forschung rund um das Stichwort «Gesundheit» verstärkt zu fördern, das ILW diesem neuen Departement zuzuordnen, die agrarwissenschaftlichen Institute im Departement Umweltnaturwissenschaften zu bündeln und das D-AGRL aufzuheben. Mit der Eingliederung in das neue Departement HEST, dessen offizielle Eröffnung 2012 erfolgte, konnte das ILW die schon länger anvisierte Vertiefung der Humanernährung und deren vermehrte Ausrichtung auf «Ernährung und Gesundheit» realisieren. Damit war auch die Zeit für eine Namensänderung zu «Institut für Lebensmittelwissenschaft, Ernährung und Gesundheit» gekommen, mit dem aus der englischen Version elegant abgeleiteten Kürzel «IFNH». Wichtig ist, anzumerken, dass die Zusammenarbeit im Agro-Food-Bereich über die departementalen Grenzen hinweg nach wie vor intensiv gepflegt wird, insbesondere auch im ETH-weiten World Food System Center.
Bllick auf heute und in die Zukunft
Ein aktuelles Mission Statement des Instituts widerspiegelt eindrücklich, wie sich das IFNH heute positioniert und mit welchen Ansätzen es sich in die Zukunft von Forschung und Lehre einbringen will [3]. Dazu stehen 15 Professuren, zwei davon assoziiert aus anderen Instituten, und eine Infrastruktur zur Verfügung, die verständlicherweise erheblich über das ehemalige LFO-Gebäude hinaus geht.
Auf Beginn des diesjährigen Herbstsemesters ist ein revidierter Studienplan «Lebensmittelwissenschaft und Ernährung» auf Bachelor- und Master-Stufe eingeführt worden [4]. Während das Bachelor-Studium auf einem einheitlichen Programm für alle Studierenden basiert und die Unterrichtssprache vorwiegend Deutsch ist, bietet das Master-Studium in vorwiegend englischer Sprache die zwei Spezialisierungen in «Food Science and Technology» oder «Nutrition and Health» an. Der in Inhalt und Form aktualisierte Studienplan offeriert nicht nur lokal, sondern vor allem auf der Master-Stufe auch eine international attraktive Ausbildungsmöglichkeit.
Damit ist das IFHN nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre zukunftsgerichtet unterwegs und bestens in der Lage, die vor 50 Jahren vom ILW gestartete Erfolgsgeschichte der Lebensmittelwissenschaft an der ETH Zürich fortzuschreiben.
❱ Quellen
[1] https://sr.ethz.ch/digbib/
[2] Educational Notes, Food Technology 28 (11), 99 (1974)
[3] https://ifnh.ethz.ch/the-institute.html
[4] eth flyer-fsn-de-web.pdf